Producer's note
Viel zu lange ist in unseren Schulen Musik ein Leichtgewicht unter den Fächern gewesen, das gerne mal und ohne Not auch ausfallen konnte. Als wäre es gestern gewesen, erinnere ich mich an die erste Musikstunde in der fünften Klasse. Wir mussten alle in die Aula und auf der rechten Seite hinter dem riesigen schwarzen Flügel Platz nehmen. Der Deutschlehrer unterrichtete ersatzweise Musik und verlangte von jedem ein Vorsingen, nacheinander. Dann entschied er, ob jemand Nichtsinger oder Singer sei. Die Nichtsinger hatten sich dann auf die linke Seite zu setzen und die Stunde über den Mund zu halten.
Trotzdem bin ich mit einer wachsenden Nähe zur Musik aufgewachsen, durfte mehrere Instrumente erlernen, gründete eine Band und verdiente zeitweilig meinen Unterhalt mit Musik, bevor ich mich für die Filmbranche entschied.
Die Zukunft sind die Kinder: als ich zusammen mit Oliver Rauch in der ersten Pressekonferenz zu "Jedem Kind ein Instrument" am 5. Februar 2007 in der Jahrhunderthalle in Bochum Platz genommen hatte, wusste ich noch nicht, was auf uns Filmleute zukommen würde. Aber so beginnt ja jede spannende Produktion, insbesondere wenn man sich auf das Genre Dokumentarfilm einlässt. Ich rechne es unseren Partnern vom WDR und den dann verantwortlichen Redakteuren, hoch an, dass sie von Anfang an dem Format Kinodokumentarfilm gegenüber aufgeschlossen waren. Es kam zu einer kreativen und kompetenten Begleitung der Produktion, immerhin von 2007 bis 2010.
Kino ohne Kinoverleih führt in eine Sackgasse. Daher war es für den Film ein Glücksfall, dass sich der Kölner Verleih RealFiction Filmverleih von Anfang an für das Projekt interessierte, ihm Vertrauen schenkte und dem zukünftigen Kinopublikum eine Stimme gab.
Für mich als Produzent ist es aufregend und eben die entscheidende Herausforderung, die Balance zwischen Inhalt und Ökonomie sicherzustellen. Immerhin landet auch das ganze Projekt in der Sackgasse, wenn es nicht gelingt, die Finanzierung aufzubauen.
Hierbei spannt sich der Bogen von den Filmförderern – in unserem Fall der Filmstiftung NRW, der FFA, dem DFFF, dem Fernsehpartner WDR, den Assoziierten- und Koproduzenten wie Alokatu und Cine+, bis hin zu Unterstützern und Partnern wie der Stiftung JEKI oder RUHR.2010. Ich bin davon überzeugt: die ganze Mühe hat sich gelohnt!
Detlef Ziegert
Director's note
Als ich im Herbst des Jahres 2006 durch einen Zeitungsartikel auf "JeKi" aufmerksam wurde, war "Jedem Kind ein Instrument" noch ein lokal begrenztes Projekt der Musikschule Bochum. Die Idee, Grundschulkindern unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem kulturellen und sozialen Hintergrund oder musikalischem "Vorwissen" einen spielerischen Zugang zur Musik zu ermöglichen, hatte schnell mein Interesse geweckt, das durch Besuche an einigen der damals teilnehmenden Grundschulen bestätigt wurde: Die Begeisterung der Kinder bei der Vorstellung der Instrumente war ebenso beeindruckend, wie das enorme Engagement der Musikschullehrer, die das ungewöhnliche Unterrichtsmodell mit viel Elan, persönlicher Kreativität und Witz in die Schulklassen trugen. Bald erfuhr ich von Manfred Grunenberg, dem Initiator des Projektes und damaligen Leiter der Bochumer Musikschule, auch von der geplanten JeKi-Ausweitung auf das gesamte Ruhrgebiet und mir wurde klar, daß mit dieser außergewöhnlichen Öffnung des Lernraumes Grundschule auch eine großartige Chance zur filmischen Beobachtung verbunden ist: Neben den Geschichten der Kinder, die ein Film über JeKi erzählen würde, wäre dies auch die seltene Möglichkeit, ein methodisches Modell und seine Wirkungen sichtbar zu machen, mit denen ein Stück der Lernwelt einer ganzheitlichen Schule zurückgewonnen werden kann.
Die Perspektive, mit einem Film Einblicke in einen leisen Prozess unzähliger kleiner Schritte zu gewähren und dabei gleichzeitig von der Vision eines der bislang größten Vorhaben im Bereich der kulturellen Bildung zu erzählen, das mit seiner umfassenden Förderung und grundsätzlichen Bedeutung für alle Kinder in Deutschland ohne Beispiel ist, erschien mir
als Autor und Regisseur eine außergewöhnlich spannende Herausforderung.
Bei der Umsetzung des Filmes kam es mir darauf an, die Momente des Lernens zu zeigen, die den JeKi-Unterricht in seinen besten Momenten stark und überzeugend machen, ohne die Schwierigkeiten und Risiken dieses Experimentes auszuklammern: Also Augenblicke festzuhalten und Situationen zu beschreiben, in denen unmittelbare emotionale Erlebnisse sich mit Lernerfahrungen verbinden. Daß es um Momente und Eindrücke gehen würde, die ein ebenso beharrliches wie behutsames Hinsehen brauchen, stand von Anfang an fest - eine Langzeitbeobachtung war also die adäquate filmische Form, um allen Fragestellungen des Themas gerecht werden zu können. Für die Gestaltung kam es mir darauf an, den Film in allen Unterrichtssituationen und im familiären Umfeld der Kinder 'auf Augenhöhe' seiner kleinen Protagonisten zu drehen. Voraussetzung dafür war ein vertrauensvoller Zugang zu den beteiligten Akteuren, den ich im Laufe einer langen Recherchephase und durch viele Unterrichtsbesuche und Verabredungen mit den ausgewählten Familien aufbauen konnte. Bei diesem schrittweisen Kennenlernen waren die Hinweise der Musik- und Grundschullehrer eine große Hilfe, zumal ich im Vorfeld der Dreharbeiten mehr Kinder und Familien in den Blick nehmen mußte als diejenigen, auf die der Film sich in der eigentlichen Auswahl seiner Protagonisten konzentriert – das war anders gar nicht möglich, weil wir anfangs nicht davon ausgehen konnten, daß alle Kinder über das erste Jahr und bis zur Beteiligung an einer der Instrumentalklassen weiter bei JeKi mitmachen würden. Eine große Zahl an Drehtagen und der Aufwand, viele Schulstunden und Aktivitäten der Kinder zu filmen, die im Schnitt des Filmes nicht berücksichtigt werden können, waren die Grundlage, auf der die authentischen Beobachtungen vor allem in den Klassenzimmern gewonnen werden konnten. Tatsächlich entstand bei unseren Besuchen im Laufe der Dreharbeiten irgendwann eine Atmosphäre, in der unsere Anwesenheit für die Kinder selbstverständlich wurde und wir nach einer Begrüßung mehr oder weniger im Geschehen 'verschwinden' konnten. Die Fülle an Material hat in der Montage nicht nur eine Auswahl besonders starker Momente ermöglicht, sondern auch deren Darstellung im Kontext ganzer Szenen. Eine meiner Grundfragen war dabei, ob und wie die Kinder selbst ihr soziales Umfeld durch die Berührung mit JeKi und der Musik verändern. Im Mittelpunkt des Filmes steht nun neben dem Anspruch, das Programm und die "Methode JeKi" beispielhaft für viele Ansätze ästhetischer Erziehung mit all ihren Stärken, aber auch den 'Kinderkrankheiten' und Webfehlern vorzustellen, die Individualität der Kinder und deren jeweilige Entwicklung in einem Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr. Der Zuschauer kann sich neben die Kinder in die Schulbank drücken und erleben, wie sich ein mitunter morgenmuffelig-verschlafener Haufen in eine Schar aufgeweckter und konzentrierter Zuhörer- und Mitspieler verwandelt und unmittelbar daran teilhaben, welche Wirkung Musikinstrumente und ihr Klang auf Kinder haben, die zu einem großen Teil noch nie die Möglichkeit hatten, derartiges zu Hören, geschweige denn, selber hervorzubringen.
Ich denke es ist uns gelungen, viel von der Begeisterung und den Zweifeln, von Bestätigung und Unsicherheit, den Höhen und Tiefen von Erfolgserlebnissen und Frust zu zeigen, die gerade im kindlichen Erleben oft so dicht nebeneinander liegen – und zu erzählen, wie durch die von JeKi vermittelten musikalischen Gemeinschaftserlebnisse kindliches Selbstvertrauen wächst und, aus dem Blickwinkel der Erwachsenen, die erzieherischen Möglichkeiten und die pädagogische Wirkung der Musik sich entfalten können. Bewußt wollte ich mit diesem Film aus dem Zusammenhang echter Geschichten heraus aber auch die Frage nach dem Verhältnis von "Klasse und Masse" stellen – die Teilnahme möglichst aller Kinder an JeKi zu gewährleisten und dabei noch besondere Begabungen zu fördern sind zwei Ziele, die sich scheinbar nur schwer miteinander in Einklang bringen lassen. Dieser Widerspruch ist eine der Kernfragen kultureller Bildung und zieht sich als spannender thematischer Grundkonflikt durch den Film, der auch einen Beitrag zu der Diskussion leisten will, ob eine Unterstützung von Ausnahmetalenten ohne Breitenförderung überhaupt gelingen kann.
Oliver Rauch